05.11.2018
Wie weiter mit der Kampagne 'Steuer gegen Armut'?
Die Steuerungsgruppe der Kampagne "Steuer gegen Armut" schlägt der Mitgliederversammlung vor, die Kampagne zu beenden, weil das gemeinsame Vorhaben von Staatspräsident Macron und Bundesfinanzminister Scholz, dem sich jetzt auch der Finanzminister Österreichs angeschlossen hat, die Verhandlungen in der Gruppe der Verstärkten Zusammenarbeit und damit eine umfassende Finanztransaktionssteuer endgültig blockiert.
Das Ökumenische Zentrum spricht sich – anders als die Steuerungsgruppe – für eine Fortsetzung der Kampagne "Steuer gegen Armut" aus.
Wir sind der Meinung, dass wir jetzt erst recht kein Zeichen setzen dürfen, das als Aufgeben und als Abrücken von unserer Argumentation und unseren Zielen verstanden werden könnte.
Nachfolgend zitieren wir aus der Erklärung der Steuerungsgruppe der Kampagne "Steuer gegen Armut" zum Stand des Finanztransaktionssteuer-Prozesses:
Finanztransaktionssteuer trotz Erfolgen unserer Kampagne vor dem Aus
Das Ziel unserer Kampagne, eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Steuerbasis – wie von der EU-Kommission vorgeschlagen – ist auf absehbare Zukunft nicht erreichbar. Das "window of opportunity", das die Finanzkrise bot, hat sich wieder geschlossen. Nach fünf Jahren Verhandlungen von zehn Ländern im Verfahren der sog. "Enhanced Cooperation" wurde ein fast beschlussreifer Direktiventwurf, der trotz Verwässerungen immer noch ein interessanter Fortschritt bei der Regulierung und Besteuerung des Finanzsektors gewesen wäre, vom französischen Präsidenten abgeblockt.
Finanzminister Scholz hat sich in der Vereinbarung von Meseberg dem Vorschlag von Macron angeschlossen, lediglich eine Steuer auf Aktien einzuführen. Frankreich besitzt bereits eine solche Steuer. Demnach würden Derivate nicht einbezogen und damit 90% der Umsätze auf den Wertpapiermärkten herausgenommen.
Aber selbst Aktien würden nicht einmal vollständig besteuert. Die französische Steuer erfasst nur Titel von Konzernen mit einem Börsenwert von über einer Milliarde Euro. Auch Intraday-Transaktionen würden unbesteuert bleiben, weil erst am Ende des Tages nach Netto-Transaktionen abgerechnet würde.
Eine solche Steuer hätte keine regulatorische Wirkung und würde im Vergleich zum Kommissionsvorschlag nur geringe Einnahmen bringen. Von der ursprünglichen Absicht, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen, bliebe nichts übrig. Die französische Schrumpfsteuer hat mit einer richtigen FTT (Financial Transaction Tax, Finanztransaktionssteuer) nichts zu tun. Sie dennoch FTT zu nennen, ist Augenwischerei.
Dass das Projekt gescheitert ist, liegt keineswegs an rechtlichen und technischen Hürden, sondern am mangelnden politischen Willen. Die Verantwortung dafür liegt nicht nur beim französischen Präsidenten. Finanzminister Scholz tut mit der widerstandslosen Übernahme von Macrons Vorschlag der Finanzindustrie einen großen Gefallen, kann gleichzeitig die Verantwortung dafür aber Paris und den Zwängen zum Kompromiss zuweisen.
Selbst die Schrumpf-FTT ist ungewiss
Dabei ist nicht einmal sicher, ob die Schrumpfsteuer kommt. Frankreich und Deutschland haben sich darauf geeinigt, die Einnahmen in ein spezielles EU- oder Eurozonen-Budget fließen zu lassen. Die Steuer würde damit zu einem Projekt der EU 27. Das heißt, dass die Verhandlungen in der "Verstärkten Zusammenarbeit" faktisch tot sind. Der österreichische Finanzminister, der den Vorsitz der Zehnergruppe innehat, hat sich inzwischen der Meseberg-Vereinbarung angeschlossen und das Ende der Zehnergruppe angekündigt.
Die Finanzminister der sogenannten "Hanseatic League" (Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich und Schweden) haben bereits erklärt, dass sie selbst diesen Vorschlag klar ablehnen. Zudem soll der "Brexit" abgewartet werden, bevor weitere Schritte unternommen werden. Auch das ist eine Hintertür für einen kompletten Ausstieg.
Unsere Kampagne hat viel erreicht
Zwar konnten wir nicht das Ziel einer umfassenden FTT erkämpfen. Jedoch hat unser Bündnis es vermocht, der Finanztransaktionssteuer zu breiter Popularität zu verhelfen. Lange Zeit konnte sich die herrschende Politik unserem Anliegen nicht verweigern. Ein Rückblick auf neun Jahre intensiver Kampagnen- und Bündnisarbeit verdeutlicht dies:
Mit einem offenen Brief an die neu gewählte Bundesregierung nahm am 17.10.2009 unsere Kampagne ihre Arbeit auf. Die Initiatoren forderten die Einführung einer FTT, deren Einnahmen für die globale Armutsbekämpfung eingesetzt werden sollten. Auf dieser Grundlage startete bereits vier Wochen später eine Petition an den Bundestag. Binnen drei Wochen fand diese 55.000 Unterzeichner*innen. Die Zahl der Mitgliedsorganisationen der Kampagne wuchs von rund dreißig auf 101 an.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung stand der FTT anfangs ablehnend gegenüber. Ausschlaggebend war dafür vor allem die FDP. Die Bundeskanzlerin erteilte noch im Mai 2010 der Steuer eine Abfuhr. Noch in der gleichen Woche erfolgte jedoch eine Kehrtwende. Die Regierungskoalition einigte sich auf die Einführung einer Finanzmarktsteuer. Die Kampagne "Steuer gegen Armut" hatte zu diesem Schwenk maßgeblich beigetragen.
Auch die EU hatte die FTT jahrelang abgelehnt. Unter dem Eindruck der Griechenland-Krise vollzog sie eine Kehrtwende und legte einen Richtlinienentwurf vor, der bemerkenswert progressiv war. Zwar war dieser auf Ebene der EU 28 nicht durchzusetzen, wurde dann aber Grundlage des Vorschlags für die "Verstärkte Zusammenarbeit".
Der Richtlinienentwurf war ein Erfolg für uns, weil er einerseits eine sehr breite Steuerbasis vorsah und fast alle spekulativen Finanzinstrumente umfasste. Zum anderen entwickelte die EU-Kommission ein Verfahren, mit dem die Umgehung der Steuer weitgehend unterbunden worden wäre. So sollte die Besteuerung nicht nur an den leicht zu wechselnden Handelsplatz, sondern auch an das nur unter hohem Aufwand zu ändernde Sitzland der Transaktionsparteien geknüpft werden. Damit wurden nicht nur jene eines Besseren belehrt, die behaupteten, eine FTT sei nicht praktikabel und leicht zu umgehen, sondern es wurden auch Impulse zum generellen Thema Steuerumgehung gesetzt, die weit über die FTT hinaus von Bedeutung sind.
Gerade in den Anfangsjahren der Kampagne gelang es dem Kampagnenbündnis, mit einer Vielzahl von Aktionen – Medienstunts, Auftritte bei Bundestagsanhörungen, über soziale Netzwerke, die Einspeisung von Expertise u.v.m. – Druck zu entfalten. Für mehrere Kinospots stellten sich namhafte Künstler*innen zur Verfügung. Meinungsumfragen belegten, dass die FTT in fast allen EU-Mitgliedsländern eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte.
Die Kampagne konnte Finanzminister Schäuble 750.000 Unterschriften überreichen. EU-weit unterschrieben diese Forderung über eine Million Menschen. Die politische Bedeutung der FTT war so hoch, dass die SPD 2012 ihre Zustimmung zum EU-Fiskalpakt vom weiteren Eintreten Deutschlands für die FTT abhängig machte. Ohne dieses Junktim wäre die notwendige ⅔-Mehrheit nicht zustande gekommen.
Auch nach dem Regierungswechsel zur großen Koalition äußerte sich die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung vom 29. Januar 2014 mit klaren Worten: "Eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt, setzt deshalb alles daran, dass alle, dass die ganze Welt die Lektionen aus dieser damaligen Krise lernt. Eine davon ist und bleibt: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzplatz darf ohne angemessene Regulierung bleiben; Finanzakteure müssen durch die Finanztransaktionssteuer zur Verantwortung gezogen werden."
Auf der Website der Kampagne "Finanztransaktionssteuer: Steuer gegen Armut" finden Sie umfassende und stets aktuelle Informationen zu diesem Thema und zum Fortgang der Kampagne.